BGH: Haftungsausschließendes Mitverschulden nur ausnahmsweise

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 28.04.2015 - VI ZR 206/14 nochmals betont, dass eine vollständige Überbürdung eines Schadens auf den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen ist. Dabei haben nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile außer Betracht zu bleiben.

Dem lag folgender Fall zugrunde: Der Kläger erlitt im Skiurlaub einen Oberschenkelhalsbruch, als der Beklagte auf einer öffentlichen Straße bei dem Versuch, einen Gegenstand seiner Schüler zu fangen, nach hinten trat und den Kläger dabei umwarf, der sich auf seinen Skiern an der Gruppe vorbeischieben wollte. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hatte die Berufung des Klägers durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Zwar sei dem Beklagten vorzuwerfen, dass er auf einer öffentlichen Straße rückwärts getreten sei, ohne sich zu vergewissern, dass der Weg hinter ihm frei sei. Jedoch entfalle die Haftung wegen eines überwiegenden Mitverschuldens des Klägers. Ein Passant, der eine spielende Gruppe sehe, müsse mit einer einfachen Rückwärtsbewegung einer Person rechnen und darauf reagieren. Die schwere Verletzung des Klägers sei allein auf die von ihm getragenen festen Alpin-Skier zurückzuführen. Da seine Ausweichfähigkeit durch die Skier eingeschränkt gewesen sei, hätte er die Gruppe entweder weiträumig umfahren oder verbal auf sich aufmerksam machen müssen.

Der Bundesgerichtshof hob den Beschluss des Kammergerichts auf und wies darauf hin, dass das Gericht nur schuldhaftes Verhalten des Geschädigten verwerten darf, von dem feststehe, dass es zu dem Schaden beigetragen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei außerdem in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Die danach vorzunehmende Abwägung könne nur bei besonderen Fallgestaltungen zu dem Ergebnis führen, dass einer der Beteiligten allein für den Schaden aufkommen muss. Ein Haftungsausschluss unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung komme nur ausnahmsweise in Betracht.

Um dem Beklagten ausweichen oder diesen warnen zu können, hätte der Kläger die ihm drohende Gefahr rechtzeitig erkennen können müssen. Hierzu sei jedoch nichts festgestellt. Deshalb könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden, dass er nicht durch Zuruf auf sich aufmerksam gemacht hat. Da für die Abwägung der Verursachungsanteile außerdem nur Verhalten maßgebend sei, dass sich erwiesenermaßen in dem Unfall ursächlich niedergeschlagen hat, hätte das Kammergericht klären müssen, ob der Beklagte, der seinerseits durch die Gruppe abgelenkt war, auf einen Zuruf rechtzeitig reagiert hätte. Es stelle schließlich eine bloße Vermutung dar, dass die Ski-Ausrüstung ein besonderes Verletzungsrisiko begründet habe. Der Bundesgerichtshof hat die Sache deshalb zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

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