BVerwG zur Bekanntgabefiktion bei behördlichen Adressaten
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21.09.2022 – 8 C 12.21 zu den Anforderungen an die Darlegung von Zweifeln am Zugang eines an eine Behörde mit Posteingangsdokumentation gerichteten Bescheides Folgendes entschieden:
Zweifel am Zugang eines mit einfacher Post an eine Behörde gesandten Bescheides darf ein Gericht verneinen, wenn die Behörde den Zugang zwar bestreitet, ihre lückenlose Dokumentation des Posteingangs für den fraglichen Zeitraum aber nicht offenlegt und die zu Beginn des Verwaltungsprozesses noch verfügbare Dokumentation nicht aufbewahrt.
Eine Gemeinde klagte gegen einen subventionsrechtlichen Zinsbescheid des beklagten Ministeriums. Der mit einfacher Post versandte Zinsbescheid wurde an die Gemeinde und nicht an den Bevollmächtigten gesandt, der sich im Verwaltungsverfahren - ohne Vorlage einer Vollmacht - für sie bestellt hatte. Nach der Bekanntgabefiktion des § 41 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz gilt ein als einfacher Brief versandter Bescheid als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post bekanntgegeben. Die Klägerin erhob erst nach mehr als einem Monat Klage und machte geltend, sie habe keinen Bescheid erhalten. Im Berufungsverfahren trug sie auf Nachfrage vor, sie habe im fraglichen Zeitraum ein Posteingangsbuch geführt; es sei heute nicht mehr vorhanden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Vortrag der Klägerin könne angesichts dieser Umstände keine Zweifel am Zugang des Bescheides begründen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision zurückgewiesen und erklärt, dass nach den Vorschriften über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten das Ministerium den Bescheid unmittelbar an die Gemeinde senden durfte. Das Berufungsgericht musste aufgrund des Vortrags der Gemeinde nicht am Zugang des Bescheides zweifeln. Zwar genügt regelmäßig einfaches Bestreiten des Zugangs, um Zweifel zu begründen. Typischerweise kann der Adressat keine genaueren Umstände darlegen, die gegen einen Zugang sprechen. Bei behördlichen Adressaten, die eine Posteingangsdokumentation führen, ist dies jedoch anders. Sie können z. B. darlegen, dass in ihrer Dokumentation für den möglichen Zugangszeitraum kein entsprechender Eingang verzeichnet ist. Behördliche Adressaten trifft zudem ab Prozessbeginn eine verfahrensrechtliche Obliegenheit, die Posteingangsdokumentation bis zum Abschluss des Verfahrens zu Beweiszwecken aufzubewahren. Geht die Dokumentation in dieser Zeit aus Gründen verloren, welche die Behörde zu vertreten hat, führt dies nicht dazu, dass nun wieder schlichtes Bestreiten des Zugangs genügt.