Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt: Beseitigung einer Abwasserleitung von einem Privatgrundstück
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (im Folgenden: OVG Magdeburg) hat mit Urteil vom 12.01.2024 (4 L 204/22) entschieden, dass der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch auf Entfernung einer öffentlichen Abwasserleitung von einem Privatgrundstück auch dann bestehe, wenn der Wert der in Anspruch genommenen Grundstücksfläche weitaus geringer ist, als die durch die Folgenbeseitigung entstehenden Kosten.
Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks, über das eine rund 30 m lange in einer Tiefe von 2,4 m bis 2,5 m der Ableitung von Schmutzwasser dienende Abwasserleitung verläuft. Die Abwasserleitung ist Teil der im Eigentum eines Zweckverbandes stehenden Anlagen seiner Abwasseranlagen in einem Teil seines Satzungsgebietes. Die Leitungsführung wurde nicht grundbuchrechtlich gesichert. Im Zeitpunkt der Errichtung der Abwasserleitung stand das Grundstück im Eigentum einer Mitgliedsgemeinde des Zweckverbands und wurde danach an die Kläger veräußert. Nachdem die Kläger den Zweckverband erfolglos zur Beseitigung der Abwasserleitung aufgefordert hatten, erhoben sie Klage auf Beseitigung, die das Verwaltungsgericht Magdeburg abwies. Auf die vom OVG Magdeburg zugelassene Berufung der Kläger wurde das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg geändert und der Zweckverband verurteilt, die auf dem Grundstück der Kläger verlaufende Abwasserleitung zu beseitigen.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Beseitigung der Abwasserleitung ist der auf den Grundrechten und dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gesetzmäßigkeit beruhende öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch. Als verschuldensunabhängiger Anspruch ist er unter den Voraussetzungen grundsätzlich gegeben, dass ein hoheitlicher Eingriff in Gestalt öffentlich-rechtlichen Verwaltungshandeln vorliegt, der eine subjektive Rechtsposition des Betroffenen aus einfachgesetzlichen Vorschriften oder Grundrechten unmittelbar verletzt, und das für den Betroffenen dadurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist, der andauert. Der Anspruch ist grundsätzlich auf die Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustandes und auf Wiederherstellung des früheren Zustandes, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestanden hat, gerichtet.
Das OVG Magdeburg führte zunächst aus, dass es sich bei der Abwasserleitung nicht um einen wesentlichen Bestandteil des Grundstücks i. S. d. § 94 Satz 1 BGB gehandelt habe und damit nicht im Eigentum der Kläger, sondern im Eigentum des Zweckverbandes gestanden habe. Die bauliche Nutzbarkeit des Grundstücks werde durch den Verlauf der Abwasserleitung im Boden in einer rechtserheblichen Weise eingeschränkt. Die Verlegung der Abwasserleitung sei rechtmäßig gewesen, weil sie mit Zustimmung der zu diesem Zeitpunkt Grundstückseigentümerin gewesenen Gemeinde erfolgt sei. Der damit ursprünglich rechtmäßige Eingriff sei jedoch durch die Änderung der Eigentumsverhältnisse am Grundstück rechtswidrig geworden. Die Kläger seien auch nicht zur Duldung der Abwasserleitung verpflichtet, weil weder dingliche Leitungsrechte im Grundbuch eingetragen seien noch eine schuldrechtliche Vereinbarung über Duldungspflichten der Kläger bestünden.
Auch treffe die Kläger keine Duldungspflicht auf der Grundlage von § 93 Satz 1 WHG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde auf Antrag des Berechtigten Eigentümer und Nutzungsberechtigte von Grundstücken und oberirdischen Gewässern verpflichten, das Durchleiten von Wasser und Abwasser sowie die Errichtung und Unterhaltung der dazu dienenden Anlagen zu dulden, soweit dies u. a. zur Abwasserbeseitigung erforderlich ist. Da es hier an einer entsprechenden behördlichen Entscheidung fehlte, bestand für die Kläger keine entsprechende Duldungspflicht. Für eine solche Duldungspflicht reicht es nach Auffassung des OVG Magdeburg nicht aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 93 Satz 1 WHG vorliegen.
Die Beseitigung der Abwasserleitung war nach Auffassung des OVG Magdeburg auch nicht für den Zweckverband unzumutbar. Ein Anspruch auf Folgenbeseitigung entfällt, wenn die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes für den Verpflichteten unzumutbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn damit ein unverhältnismäßig hoher Aufwand verbunden ist, der zu dem erreichbaren Erfolg in keinem vernünftigen Verhältnis mehr steht. Ein an sich gegebener Anspruch auf Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes kann aber nur ausnahmsweise ausgeschlossen werden, so dass ein strenger Maßstab mit hohen Anforderungen anzulegen ist.
Das OVG Magdeburg führt unter Bezugnahme auf obergerichtliche Rechtsprechung aus, dass als Maßstab der Unzumutbarkeit der Rechtsgedanke unverhältnismäßiger Aufwendungen i. S. d. § 275 Abs. 2 BGB herangezogen werden könne. Unzumutbarkeit setze danach ein grobes Missverhältnis zwischen dem mit der Beseitigung verbundenen finanziellen Aufwand und dem durch den rechtswidrigen Eingriff verursachten finanziellen Nachteil für den Anspruchsberechtigten voraus.
Ein solches grobes Missverhältnis stellte das OVG Magdeburg hier nicht fest. Der Wertverlust für das Grundstück durch die Abwasserleitung betrug 50.000 €. Dem standen Kosten des Zweckverbandes für die Beseitigung der Abwasserleitung i. H. v. maximal 82.000 € gegenüber. Ein „grobes“ oder „krasses“ Missverhältnis hat das OVG Magdeburg hier nicht bejaht. Selbst wenn der Wert der in Anspruch genommenen Grundstücksflächen weitaus geringer sei als die durch die Folgenbeseitigung entstehenden Kosten, habe dies nicht zur Folge, dass die Folgenbeseitigung unzumutbar sei. Denn käme es auf den Verkehrswert der in Anspruch genommenen Grundstücksfläche an, würde regelmäßig ein Folgenbeseitigungsanspruch scheitern. Nur im Ausnahmefall dürfte der Quadratmeterpreis einer rechtswidrig in Anspruch genommenen Fläche den Kosten entsprechen, die durch die Beseitigung und Verlegung einer darauf errichteten baulichen Anlage entstehen. Der Anspruch auf Beseitigung der Eigentumsstörung als „Regelfall“ würde damit praktisch „leerlaufen“.
Das OVG Magdeburg hat die Frage, wo genau die rechnerische Grenze der Unzumutbarkeit im vorliegenden Fall sei, offen gelassen und dazu ausgeführt, dass der Beseitigungsaufwand bis zu 82.000 € zwar einen erheblichen Betrag darstelle, der aber nicht völlig außer Verhältnis an dem Interesse der Kläger an der baulichen Nutzung ihres Grundstücks stehe.