OVG Bautzen: Ermittlung der Abwägungsbelange beim Erlass eines Bebauungsplans
Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat mit Normenkontrollurteil vom 09.03.2023 – 1 C 103/21 einen Bebauungsplan einer sächsischen Gemeinde aufgehoben, weil diese in der Abwägungsentscheidung die finanziellen Nachteile nicht berücksichtigt habe, die der Grundstückseigentümer durch die beschlossene Planung erleidet.
Zum Sachverhalt:
Die ostsächsische Stadt hatte in einem Bebauungsplan im Bereich von festgesetzten Überschwemmungsgebieten u.a. Retentionsflächen für die Neiße als öffentliche Grünflächen-Hochwasserschutz ausgewiesen. In diesem Bereich befinden sich private Grundstücke mit einer Fläche von über 27.000 m², die der Eigentümer gewerblich nutzt. Im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung räumte die Stadt den Belangen des Hochwasserschutzes und der Stadtplanung den Vorzug ein. Der Grundstückseigentümer rügt mit seinem Normenkontrollantrag, dass seine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsbelange nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.
Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen gab dem Normenkontrollantrag statt und erklärte den Bebauungsplan für unwirksam. Es lägen beachtliche Ermittlungs- und Bewertungsfehler vor. Beachtlich seien Verfahrensverstöße gemäß § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, wenn entgegen § 2 Abs. 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist. Die Stadt habe entgegen § 2 Abs. 3 BauGB das für die Abwägung bedeutsame Abwägungsmaterial nicht umfassend ermittelt. Danach sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten. Die planende Gemeinde müsse Art und Ausmaß der planbedingten Nutzungsbeeinträchtigung zunächst ermitteln und bewerten, da erst das Ergebnis der Bewertung mit dem ihm zukommenden Gewicht in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB berücksichtigt werden könne. Dabei gehöre das durch Art. 14 GG gewährleistete Eigentumsrecht in hervorgehobener Weise zu den von der Bauleitplanung zu berücksichtigenden Belangen, sodass die Gemeinde die Nachteile einer Planung für den Planunterworfenen zu berücksichtigen hat. Sie müsse dabei u. a. den möglichen Umfang hierfür zu leistender Entschädigungen in die Abwägung einstellen und deshalb auch insoweit alle abwägungsrelevanten Umstände ermitteln. Vorliegend habe die Stadt nicht näher ermittelt, ob und inwiefern die Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche mit der Zweckbestimmung Hochwasserschutz die gewerbliche Nutzung der Grundstücke mit einer Fläche von 27.000 m² einschränkt und damit in das von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Grundeigentum der Antragstellerin eingreift. Da die Stadt insbesondere finanzielle Nachteile nicht ermittelt habe, seien diese auch nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt worden.