OVG Mecklenburg-Vorpommern: Anschluss- und Benutzungszwang bei nicht den Vorgaben der DWA entsprechenden Versickerungsmöglichkeiten über Rigolen

Das Oberverwaltungsgericht Greifswald hat mit Urteil vom 07.03.2023 (1 LB 194/21) entschieden, dass nicht von einer Versickerung von auf einem Grundstück anfallenden Niederschlagswassers ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit ausgegangen werden könne, wenn auf dem Grundstück zur Niederschlagswasserversickerung errichtete sog. Rigolen sowohl im Hinblick auf die generelle Zulässigkeit der Nutzung dieser Versickerungsmöglichkeit als auch im Hinblick auf die tatsächliche Bauausführung nicht den Vorgaben der DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft) entspricht.

Gegenstand des Verfahrens waren Bescheide des zuständigen Aufgabenträgers zur Durchsetzung des Anschluss- und Benutzungszwangs an die öffentliche Einrichtung zur zentralen Niederschlagswasser-beseitigung.

Für das Grundstück der Kläger bestand die Möglichkeit der Anschlussnahme an den öffentlichen Niederschlagswasserkanal der öffentlichen Abwasseranlage. Das Grundstück war überwiegend mit einem Wohn- und Geschäftshaus sowie Parkflächen überbaut. Im Jahr 2017 wurden auf dem Grundstück Rigolen zum Zwecke der Versickerung des Niederschlagswassers auf dem eigenen Grundstück errichtet.

Eine Rigole ist ein unter der Erdoberfläche angeordneter Pufferspeicher, der eingeleitetes Regenwasser aufnehmen kann, um es zu versickern (Wikipedia).

Nachdem die untere Wasserbehörde dem Aufgabenträger mitgeteilt hatte, dass eine Beeinträchtigung von Gebäuden der näheren Umgebung wegen der Oberflächennähe des Grundwassers, in das die Versickerung erfolgte, nicht auszuschließen sei, verpflichtete dieser die Kläger zum vollständigen Anschluss ihres Grundstücks an die öffentliche Abwasseranlage und deren Benutzung auch für die Entsorgung des auf dem Grundstück anfallenden Niederschlagswassers. Der Aufgabenträger stützte seinen Bescheid auf eine Regelung in seiner Entwässerungssatzung über den Anschluss- und Benutzungszwang auch für das auf dem Grundstück anfallende Niederschlagswasser. Eine satzungsrechtlich vorgesehene Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für den Fall, dass das Niederschlagswasser auf überwiegend zu Wohnzwecken genutzten Gebieten anfällt, komme nicht in Betracht, weil das Niederschlagswasser nicht entsprechend der maßgeblichen satzungsrechtlichen Regelung ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit versickert, verrieselt oder in ein Gewässer eigeleitet werden könne. Die für die Befreiung notwendige Voraussetzung einer gemeinwohlverträglichen Niederschlagswasserentsorgung mittels Rigolen liege nicht vor, weil eine schadlose Versickerung entsprechend den Vorgaben des DWA-Regelwerkes nicht möglich sei.

Das Oberverwaltungsgericht Greifswald bestätigt in seinem Urteil die Auffassung des Aufgabenträgers, die Kläger könnten das auf ihrem Grundstück anfallende Niederschlagswasser nicht entsprechend den Vorgaben in der Entwässerungssatzung gemeinwohlverträglich durch Versickerung entsorgen.

In dem vom Oberverwaltungsgericht Greifswald entschiedenen Fall sah die satzungsrechtliche Regelung ausdrücklich vor, dass eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang nur dann in Betracht kommt, wenn das Niederschlagswasser ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit versickert, verrieselt oder in ein Gewässer eingeleitet werden kann.

Fehlt es an einer solchen ausdrücklich das Gemeinwohl aufnehmenden satzungsrechtlichen Regelung, folgt die Erforderlichkeit einer gemeinwohlverträglichen Entsorgung des Niederschlagswassers unmittelbar aus dem Gesetz. So bestimmt im Freistaat Sachsen § 50 Abs. 3 Nr. 2 SächsWG, dass die Pflicht zur Überlassung des Niederschlagswassers an den Beseitigungspflichtigen entfalle, wenn dieses auf dem Grundstück, auf dem es anfällt, verwertet oder versickert werden kann. Eine die Voraussetzungen für das Entfallen der Überlassungspflicht konkretisierende Regelung folgt aus § 55 Abs. 2 WHG. Danach soll Niederschlagswasser ortsnah u. a. versickert werden, soweit dem weder wasserrechtliche noch sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften noch wasserwirtschaftsrechtliche Belange entgegenstehen. Die Pflicht zur gemeinwohlverträglichen Entsorgung von Niederschlagswasser folgt aus § 55 Abs. 1 Satz 1 WHG, wonach Abwasser – hierzu zählt gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen gesammelt abfließende Wasser (Niederschlagswasser) – so zu beseitigen ist, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird.

Vergleichbar ist die Rechtslage in Sachsen-Anhalt. Hier bestimmt § 79b Abs. 1 Satz 1 WG LSA dass zur Beseitigung des Niederschlagswassers anstelle der Gemeinde der Grundstückseigentümer verpflichtet ist, soweit nicht die Gemeinde den Anschluss an eine öffentliche Abwasseranlage und deren Benutzung vorschreibt oder ein gesammeltes Fortleiten erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit a) und Nr. 2 lit a) KVG LSA können die Kommunen im eigenen Wirkungskreis für die Grundstücke ihres Gebietes den Anschluss an die öffentliche Abwasserbeseitigung anordnen (Anschlusszwang) und deren Benutzung vorschreiben (Benutzungszwang), wenn sie ein dringendes öffentliches Interesse dafür feststellen. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn andernfalls eine gemeinwohlverträgliche Entsorgung von Abwasser nicht sichergestellt werden kann

Eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für die Ableitung des auf einem Grundstück an-fallenden Niederschlagswassers setzt also immer dessen gemeinwohlverträgliche Beseitigung (Versickerung, Verrieselung oder Gewässereinleitung) voraus.

Das Oberverwaltungsgericht Greifswald beurteilt unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 25.04.2018 – 9 A 16.16) und des Oberverwaltungsgerichts Münster (vgl. Urt. v. 20.06.2022 – 11 A 2800/18) die Gemeinwohlverträglichkeit hier der Versickerung nach den Vorgaben der Deutschen Vereinigung Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) im Arbeitsblatt DWA-A 138 – Planung, Bau und Betrieb von Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser (Stand April 2005).

Bei den Arbeitsblättern der DWA handelt es sich um technische Regelwerke, die den Stand der Technik bzw. die Regeln der Technik widerspiegeln, welche unter anderem bei der Errichtung von Anlagen der Versickerung von Niederschlagswasser oder auch zur Einleitung von Abwasser in ein Gewässer einzuhalten sind.

Zur Planung von Versickerungsanlagen heißt es im Arbeitsblatt DWA-A 138 (S. 12):

„Das Belastungspotenzial der Abflüsse von Flächen für den ruhenden Verkehr (Parkflächen) wird nach der Nutzungsfrequenz abgeschätzt. Gering frequentierte Parkflächen für Kraftfahrzeuge, z. B. für Anwohne einer Reihenhaussiedlung, werden wie Hofflächen in Wohngebieten und vergleichbaren Gewerbegebieten beurteilt. Stark frequentierten Parkflächen, z. B. Parkplätze eines Supermarktes, wird dagegen ein deutlich höheres Belastungspotenzial zugewiesen. (…) Tabelle 1 stellt eine Entscheidungsmatrix dar, die Einsatzmöglichkeiten der unterschiedlichen Anlagen zur Regenwasserversickerung in Abhängigkeit der abflussliefernden Fläche und der hydraulischen Belastung (…) aufzeigt.“

Die Tabelle 1 „Versickerung der Niederschlagsabflüsse unter Berücksichtigung der abfließenden Flächen außerhalb von Wasserschutzgebieten“ (DWA-A 138, S. 14) lässt sich sodann entnehmen, dass die Versickerung mittels Rigolen und Rohr-Rigolenelementen allein für anfallendes Niederschlagswasser auf Dachflächen als in der Regel zulässig eingestuft wird. Für Hofflächen und Pkw-Parkplätze ohne häufigen Fahrzeugwechsel sowie wenig befahrene Verkehrsflächen (bis DTV 300 Kfz [DTV = ein Drittel der durch-schnittlichen täglichen Verkehrsstärke]) in Wohn- und vergleichbaren Gewerbegebieten wird die Versickerung mittels Rigolen und Rohr-Rigolenelementen als nur in Ausnahmefällen zulässig angesehen, für Pkw-Parkplätze mit häufigem Fahrzeugwechsel, z. B. von Einkaufszentren, als nicht zulässig.

Im vorliegenden Fall ging das Oberverwaltungsgericht Greifswald von der Flächenkategorie „Hofflächen und PKW-Parkplätze ohne häufigen Fahrzeugwechsel sowie wenig befahrene Verkehrsflächen (bis DTV 300 Kfz) in Wohn- und vergleichbaren Gewerbegebieten“ aus. Eine Versickerung des Niederschlagswassers mittels Rigolen sei deshalb nur in Ausnahmefällen zulässig. Ein Ausnahmefall sei von den Klägern darzulegen gewesen. Daran habe es gefehlt, so dass eine Versickerung des auf dem Grundstück anfallenden Niederschlagswassers ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit nicht möglich sei.

Darüber hinaus entsprach nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald auch die tatsächliche Bauausführung der Rigolen nicht den Vorgaben der DWA. Das Arbeitsblatt DWA-A 138 sieht hinsichtlich des einzuhaltenden Grundwasserabstandes einen Mindestabstand von 1,00 m zwischen der Unterkante der Rigole und dem Mittleren Höchsten Grundwasserstand (MHGW) vor. Dieser Mindestabstand wurde vorliegend nicht eingehalten. Die Tiefe der Rigolen von 1,50 m war zwischen den Beteiligten unstreitig und ergab sich auch aus einem von den Klägern vorgelegten hydrogeologischen Bericht. Der genannte Bericht enthielt zudem die Angabe, dass Grundwasser in einer Tiefe von 2,07 m (angebohrt) bzw. 1,90 m (Bohrende) angetroffen worden sei. Ausgehend von der Tatsache, dass die Rigolen an der Erdoberfläche nicht sichtbar waren, es sich auch entsprechend der Angaben der DWA (DWA-A 138, Tabelle 1 „Versickerung der Niederschlagsabflüsse unter Berücksichtigung der abflussliefernden Flächen außerhalb von Wasserschutzgebieten“) bei Rigolen generell um unterirdische Versickerungsanlagen handelt und damit noch ein gewisser Abstand zwischen der Erdoberfläche und der Oberkante der Rigole besteht, belief sich der Sickerraum zwischen der Unterkante der Rigolen und dem gemessenen Grundwasserstand jedenfalls auf weniger als 1,00 m und genügte damit nicht mehr den Vorgaben der DWA für eine gemeinwohlverträgliche Versickerung des auf dem Grundstück der Kläger anfallenden Niederschlagswassers.

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