Verfahren und gerichtliche Kontrolle von Qualifikationsentscheidungen für den Beruf des Hochschullehrers
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 04.11.2010 umfassend zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Verfahren und die gerichtliche Kontrolle von Prüfungs- und Qualifikationsentscheidungen für den Hochschullehrerberuf Stellung genommen. Im zu entscheidenden Fall hatte die Universität einen Habilitationsantrag eines österreichischen Staatsbürgers abgelehnt. Nachdem die Verwertung eines externen Gutachtens zweifelhaft war, schlossen die Beteiligten vor dem OVG Hamburg einen Vergleich, wonach ein weiteres Gutachten eingeholt werden sollte, dem nach dem Willen der Beteiligten „maßgeblicher Einfluss auf die weitere unter Einbeziehung dieses Gutachtens zu erfolgende Entscheidung des Habilitationsausschusses“ zukommen sollte. Nachdem die dreiseitige negative Stellungnahme des Gutachters vorlag, lehnte der Ausschuss den Habilitationsantrag ab. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Klage und machte eine Verletzung seines Rechts auf sachkundige Leistungsbewertung geltend. Gegen die ablehnende Entscheidung der Verwaltungsgerichte erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde.
Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte den Beschwerdeführer in seinen verfassungsrechtlich garantierten Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Mit der Habilitation könne er die Lehrbefugnis für sein Fachgebiet erwerben, die wiederum Voraussetzung für die Erteilung der Lehrbefugnis als Privatdozent ist. Zwar sei die Privatdozentur nicht als Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG anzusehen. Als Vorstufe für die Berufsaufnahme als Professor unterfalle sie aber dennoch der Berufsfreiheit. Da sich der Beschwerdeführer als Nichtdeutscher nicht auf den Schutz des Art. 12 GG berufen könne, sei ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG erforderlich, der für Nichtdeutsche einen vergleichbaren Schutz biete. Bei der Habilitation handele es sich um eine Berufszulassungsprüfung, sodass die aus der Berufsfreiheit folgenden Anforderungen beachtet werden müssten. Daneben sei der aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Grundsatz der Chancengleichheit zu berücksichtigen. Die bei Habilitations- und Berufungsentscheidungen zu beachtende Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG verstärke dabei die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Verfahren und die gerichtliche Kontrolle der erforderlichen Prüfungsentscheidungen. Der Betroffene hat daher einen Anspruch auf eine fehlerfreie und verfassungsmäßige Leistungsbewertung durch sachkundige Personen. Diesem Anspruch werde in einem Habilitationsverfahren nicht schon dadurch genügt, dass über den Erfolg der Habilitation nur von Personen entschieden werden darf, die selbst habilitiert sind oder über eine gleichwertige Qualifikation verfügen. Vielmehr müsse durch die Ausgestaltung des Verfahrens gewährleistet werden, dass der zur sachkundigen Bewertung erforderliche fachwissenschaftliche Sachverstand in dem zur Entscheidung berufenen Gremium nicht nur eingebracht, sondern bei der Entscheidung maßgeblich berücksichtigt wird, wobei den vorbereitenden Fachgutachten eine besondere Bedeutung zukomme. Dabei dürfe bei fachspezifischen Fragen eine mit guten Gründen vertretene Auffassung nicht nur deshalb als falsch bewertet werden, weil die Prüfer hierzu eine andere Auffassung vertreten als der Prüfling.
Mit diesem Anspruch korrespondiere ein Anspruch auf wirksame fachgerichtliche Kontrolle aus Art. 19 Abs. 4 GG. Dabei haben die Gerichte insbesondere nachzuprüfen, ob durch das Prüfungsverfahren eine sachkundige und fachlich korrekte Leistungsbewertung gewährleistet war, keine wesentlichen Verfahrensfehler begangen wurden, die Prüfer von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen sind und sich nicht von fachfremden Erwägungen haben leiten lassen. Lediglich bei prüfungsspezifischen Beurteilungen, die der Prüfer aus Erfahrungen im fachkundlichen Vergleich mit der Leistung anderer Prüflinge gewinnt, sei von einem gerichtlich nur begrenzt nachprüfbaren Entscheidungsspielraum auszugehen. Die gerichtliche Kontrolle sei allerdings auch hier nur so weit eingeschränkt, als eine intensivere Prüfung zu einer Verzerrung der Bewertungsmaßstäbe und zu einer Verletzung des Grundrechts der Chancengleichheit führen würde.
Da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Hochschullehrern im Modell der Gruppenuniversität eine besondere Stellung zukomme, sind an das Berufungsverfahren besondere Anforderungen zu stellen. Gleiches müsse auch für die vorgelagerten Prozesse der Habilitation, der Erteilung einer Lehrbefugnis oder einer anderen Qualifikation für die Berufung auf eine Hochschulprofessur gelten.
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen die Grundrechte des Bewerbers durch die Fachgerichte festgestellt. Diese hätten zu Unrecht einen gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum des Gutachters bzw. des Habilitationsausschusses angenommen. Vielmehr hätten sie feststellen müssen, dass nicht zu allen wissenschaftlichen Gebieten, die die Habilitationsschrift berühre, fachliche Gutachten vorlägen. Der von den Parteien geschlossene Vergleich stehe dieser Bewertung nicht entgegen, da das Recht auf sachkundige Leistungsbewertung zugleich Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit sei. Aus der Schlüsselfunktion der freien Wissenschaft für die gesellschaftliche Entwicklung folge eine Verantwortung für die Sicherung ihrer Leistungsfähigkeit. Die besondere Stellung der Hochschullehrer sei nur dann gewährleistet, wenn deren sachgerechte und allein an qualitativ-wissenschaftlichen Maßstäben ausgerichtete Auswahl gewährleistet werde. Mit der Prüfungsentscheidung über die Habilitation sei demgemäß auch eine institutionelle Verantwortung für die Qualitätssicherung der freien Wissenschaft verbunden. Hierauf könne der Grundrechtsträger nicht verzichten.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Hamburg zurückverwiesen.