Verwaltungsgerichtshof Mannheim: Zulässigkeit einer Verpackungssteuer
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat mit Normenkontroll-Urteil vom 29.03.2022 (2 S 3814/20) entschieden, dass es sich bei einer kommunalen Verpackungssteuer, deren Steuertatbestand nicht nur Einwegverpackungen für Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle, sondern auch Einwegverpackungen für Produkte zum Mitnehmen (take-away-Verpackungen) erfasst, nicht um eine örtliche Verbrauchsteuer im Sinne von Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG handelt und eine solche Steuer in Widerspruch zum Abfallrecht des Bundes, namentlich zu den Vorgaben im Kreislaufwirtschaftsgesetz und im Verpackungsgesetz steht, wenn sie als Lenkungssteuer ausgestaltet ist.
Gegenstand des Normenkontrollverfahrens war die Satzung der Universitätsstadt Tübingen über die Erhebung einer Verpackungssteuer (Verpackungssteuersatzung) vom 30.01.2020, die in ihrem § 1 Abs. 1 bestimmte, dass die Stadt auf nicht wiederverwendbare Verpackungen (Einwegverpackungen) und nicht wiederverwendbares Geschirr (Einweggeschirr) sowie auf nicht wiederverwendbares Besteck (Einwegbesteck) eine Steuer erhebt, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden (z.B. warme Speisen und Getränke, Eis von der Eisdiele, Salat mit Soße und Besteck, Getränke „to go“).
Ziel der Satzung war es, Einnahmen zum städtischen Haushalt zu generieren sowie die zunehmende Vermüllung des Stadtbilds durch im öffentlichen Raum entsorgte „to-go“-Verpackungen zu verringern und einen Anreiz zur Verwendung von Mehrwegsystemen zu setzen.
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim erklärte die Satzung für unwirksam.
Zwar handle es sich bei einer Verpackungssteuer, die durch kommunale Satzung erhoben wird, um eine Verbrauchsteuer, aber nicht um eine örtliche i. S. d. Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG, wenn sie nach ihrem satzungsgemäßen Steuertatbestand den Steuergegenstand nicht auf Verpackungen für Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle begrenzt. Der Steuertatbestand einer kommunalen Verpackungssteuer, die den Verkauf der Produkte zum Mitnehmen - d.h. als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk erfasst, stelle rechtlich den örtlichen Bezug der Steuer nicht ausreichend sicher und gewährleiste damit nicht, dass der belastete Konsum vor Ort (im Gemeindegebiet) stattfindet. Bei Produkten zum Mitnehmen sei im Hinblick auf ihre Transportfähigkeit - auch über größere Strecken - ein Verbleiben im Gemeindegebiet nicht gewährleistet.
Der Umstand, dass bei einem Verkauf als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk der Konsum und damit auch der Verbrauch der Verpackung am häufigsten im Gemeindegebiet stattfindet und dementsprechend dies den „typischsten“ Fall des Verbrauchs darstellt, genügt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim nicht für die Annahme des örtlichen Bezugs der Steuer im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte mit Beschluss vom 23.07.1963 (BvL 11/61) zur Speiseeissteuer und Urteil vom 07.05.1998 (2 BvR 1791/95 u. a.) zur Kasseler Verpackungssteuer entschieden, dass eine örtliche Steuer normativ auf den Verzehr an Ort und Stelle abstellen müsse und hierüber nicht hinausgehen dürfe.
Wegen des mit der Verpackungssteuer verfolgten Lenkungsziels, „to-go“ Verpackungen zu reduzieren und einen Anreiz zur Verwendung von Mehrwegsystemen zu setzen, prüfte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim auch die Vereinbarkeit der Verpackungssteuer mit den kreislaufwirtschaftsrechtlichen Regelungen, insbesondere mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz und dem Verpackungsgesetz, und verneinte dieselbe.
Die bundesrechtlichen Regelungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und insbesondere des Verpackungsgesetzes seien als abschließend anzusehen, so dass kein Raum für ausschnittsbezogene kommunale „Zusatzregelungen“ in Form einer Lenkungssteuer zur Vermeidung von Einwegverpackungen bleibe.
Der Vorrang der Abfallvermeidung in § 6 Abs. 1 KrWG begründe für die Kommunen nicht die Zuständigkeit, die abfallwirtschaftliche Zielsetzung der Abfallvermeidung eigenständig „voranzutreiben“. Auch wenn das mit der Einführung der Produktverantwortung verfolgte Ziel einer Reduzierung des Verpackungsaufkommens auf Grundlage der bisherigen Regelungen im bundesrechtlichen Verpackungsgesetz nicht (ausreichend) erreicht worden sein sollte, sei es Sache des Bundesgesetzgebers, dem die Zuständigkeit zur umfassenden Regelung des Rechts der Abfallwirtschaft eingeräumt ist, für Abhilfe zu sorgen und das Regelungssystem des Verpackungsgesetzes fortzuentwickeln.
Auch aus den Regelungen über das umweltpolitische Instrument des Abfallvermeidungsprogramms in § 33 KrWG lasse sich keine Berechtigung der Kommunen ableiten, eine kommunale Verpackungssteuer in Widerspruch zur Konzeption des Bundesgesetzgebers einzuführen.